Das kommt davon

Humoreske von Paul Bliß
in: „Freie Presse für Texas” vom 09.08.1899


Sagen wir also, sie heißt Miß Annie. Sie heißt zwar nicht so, aber das thut ja auch nichts zur Sache.

Also Miß Annie sollte nach Berlin kommen.

Seit Wochen schon wurden die Reklameposaunen für sie geblasen. Ihr Impresario ist ein sehr praktischer Geschäftsmann, und der Berliner Direktor, der diesen Star für sein — wie man so sagt — Kunstinstitut gewonnen hatte, ist ein ebenso praktischer Geschäftsmann, und so kam es denn, daß die allzeit galante Presse sich sofort bereit finden ließ, der berühmten Künstlerin den Weg zu ebnen.

In England sollte sie mit Ruhm und Lorbeeren überhäuft worden sein. Vor der Königin mußte sie eine Separatvorstellung bei Hofe geben; und das ganze loyale England trug sie auf Händen. Noch nie hatte man einer Kunstreiterin so viel Ehre erwiesen.

Und nun endlich kam sie auch nach Berlin.

Das Haus war natürlich ausverkauft, trotz der erhöhten Preise, und Tausende gingen enttäuscht von dem geschlossenen Kassenraum nach Hause.

Als sie endlich in die Manege ritt, brach ein Jubelsturm los, der nicht wieder enden wollte. Es regnete Kränze und Sträuße, so daß ihr Pferd oft wild sich bäumte.

Und die kühne Reiterin übertraf alle Erwartungen. So etwas hatte man hier noch nicht gesehen.

Innerhalb acht Tagen war Miß Annie der Mittelpunkt, um den sich Alles drehte. Ihr Erfolg war grandios, bei Männern und bei Frauen, sie zählte Schaaren von Bewunderern, sie wurde „Mode”.

Man überschüttete die junge Künstlerin mit Bouquets, Kränzen, Einladungen, mit Juwelen und kostbaren Souvenirs aller Art. Die Blumen behielt sie, alles Andere wurde unbarmherzig zurückgewiesen.

Da, eines Tages verbreitete sich das Gerücht, daß man die Unnahbare mit einem fremden Herrn habe im Thiergarten reiten sehen.

Wie ein Lauffeuer ging diese Neuigkeit durch alle Clubs und Kasinos, und man ruhte nicht eher, bis man den Mann ausfindig gemacht hatte, der sich so stolzen Sieges rühmen durfte.

Er war ein junger Gutsbesitzer aus Ostpreußen, ein Herr von Jablewsky, der nach Berlin gekommen war, die weltberühmte Künstlerin kennen zu lernen. Ein echter Landjunker, groß und breitschulterig, ein Hüne von Gestalt, mit derb gutmüthigem Gesicht, der nichts, aber auch gar nichts, von alledem an sich hatte, was unseren Berliner Kavalieren eigen ist. Aber er war ein Reiter, wie er wohl in Berlin nicht zu finden war.

Er ritt im Thiergarten. Es war morgens um 9 Uhr, und die Reitwege waren ziemlich leer. Er hatte einen Tigerwallach, ein wildes, feuriges Pferd. Das war so etwas für ihn. Es bedurfte seiner ganzen Kraft, den wilden Gaul zu halten. Aber er hielt ihn. Und nach einer halben Stunde ging das Thier, wie sein Reiter es haben wollte.

Und um dieselbe Stunde fuhr Miß Annie mit ihrer Begleiterin spazieren. Da sah sie ihn. Und mit Erstaunen sah sie seine kraftvolle Kunst. Das imponirte ihr.

Mit einmal bemerkte er die Künstlerin. Im Nu parirte er, hielt dicht vor dem Wagen an und grüßte tief.

Miß Annie spendete ihm Lob und Anerkennung für seine Kühnheit.

Das machte ihn so verwirrt, daß er, der starke, große Mann, erröthete.

Von dem Tage an ritten sie jeden Morgen zusammen aus. Er verliebt zum Rasendwerden. Und sie wie umgewandelt, nicht mehr so stolz und kühl wie ehedem, sondern ganz hingebende Liebe.

Als er sie da draußen, auf dem menschenleeren Felde zum ersten Male küßte, bewunderte er heimlich ihre schönen Zähne. Das war es gerade, was er an den Frauen liebte, gesund mußten sie sein, wie er selbst es war.

Nach acht Tagen bekam er eine einladung, sie zu besuchen. Vormittag um Elf sollte er kommen. Da wären sie ungestört.

Er schwamm in Seligkeit. Und mit einmal kommt ihm eine tolle Idee. Er ist ja verliebt, rasend verliebt. Ja! Das wird er thun. Er wird eine Stunde früher zu ihr gehen, wer weiß, vielleicht überrascht er sie noch bei der Toilette — und er ist ja verliebt!

Als er die Treppen hinaufsteigt, klopft ihm das Herz hörbar laut — vielleicht ist sie gar böse — und beinah schon kehrt er wieder um — vielleicht geht er doch lieber um Elf erst her.

Aber da wird schon die Thür geöffnet und eine Zofe erblickt ihn.

„Ach, Sie wollen wohl zu uns?” fragt sie dreist naiv.

Er nickt nur.

„Die Gnädige schläft noch, aber warten Sie nur einen Augenblick, ich hole es Ihnen gleich heraus. Die Gnädige hat mir gesagt, daß Sie um Zehn kommen würden,” — damit verschwindet sie und läßt ihn vollständig verblüfft stehen.

Doch er hat gar nicht Zeit, erst darüber nachzudenken, denn im nächsten Augenblick ist die Kammerkatze schon wieder da.

„Hier bitte, zu morgen muß es aber bestimmt fertig sein,” damit giebt sie ihm ein Packetchen und schnappt die Thür zu.

Langsam steigt er die Treppen wieder herunter. Er ist ganz wirr im Kopf und Alles dreht sich vor ihm. Endlich öffnet er das Päckchen, ganz behutsam. Und er findet ein zierliches Etui mit — einem defekt gewordenen Gebiß.

Ihre Zähne!!! — Er ist wie niedergeschmettert, er hat das Gefühl, als habe ihm Jemand eine derbe ostpreußische Ohrfeige versetzt. Wie ein Taumelnder tastet er sich weiter, bis er zum Hause hinaus ist.

An der nächsten Ecke trifft er einen guten alten Freund, und als dieser ihn fragt, was ihm denn passirt sei, da er ja ein Gesicht mache, wie ein Lohgerber, dem die Felle weggeschwommen — da beichtet er Alles.

„Ja, aber lieber Freund,” erwidert der andere lachend, „bei solchen Damen darf man auch nicht früher kommen, als man eingeladen ist . . . . . und selbst dann muß man noch aufpassen!—”

Herr von Jablewsky aber ist noch an demselbe Tage heimgereist nach seinen ostpreußischen Gefilden!

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